Rezension 1 (Zauberhaft): Myranische Magie

Text: Michael The Roach Janßen

Myranische Magie
Regelergänzungsband zur Magie (2009)
DSA 4.1; 248 Seiten; 40 € vergriffen (Erstauflage); HC
Olaf Michel, Christian Saßenscheidt

Dieser Text stammt aus dem Blog Roachware, den The Roach unter http://www.roachware.org/ unterhält. Dort ging der Artikel am Mittwoch, 28. Januar 2009 online. Wir bringen ihn mit freundlicher Genemigung des Autors.

Lange haben sie warten müssen, die Myranor-Spieler, auf das sehnsüchtig erwartete Regelwerk zur Magie in Myranor, aber heute ist es endlich so weit. Schon aus der Wiki AventuricaMyranor-Box war klar geworden, dass Magie in Myranor nicht so funktioniert wie auf dem östlichen Nachbarkontinent Wiki AventuricaAventurien, aber weder mit den ‚Wiki AventuricaMyranischen Mysterien‚ noch mit dem Wiki AventuricaHardcover-Band hatte es spielbare Regeln gegeben, mit denen man imperiale Wiki AventuricaOptimaten, amaunische Wiki AventuricaBaLoa, Wiki AventuricaShingwa-Schamanen oder andere magisch begabte Wesen spielen konnte.

Mit diesem Band will Ulisses Spiele dieser Situation abhelfen. Übrigens ist Myranische Magie das letzte Myranor-Buch, das unter dem Ulisses-Logo erscheinen soll, das nächste Werk – der Band mit den Abenteuern aus dem Myranor-Preisausschreiben – soll mW schon unter dem Uhrwerk-Logo zur RPC erscheinen.

Das Titelbild sieht interessant aus. Auf den ersten Blick scheint es, als sähe man gerade eine Hexenverbrennung oder so, aber in Wirklichkeit hat die Frau in der Mitte „nur“ einen Feuergeist in sich aufgenommen. Insofern ist das Bild recht stimmig und dürfte sicher zu den gelungeneren der letzten Zeit aus dem Hause Ulisses gehören.

Innen hat das Buch knapp 250 Seiten, es ist also schon ein Wälzer, aber verglichen mit manch anderen Regelwerken der letzten Zeit (ich denke dabei vor allem an Opus Anima, oder auch den DSA-Band Wiki AventuricaWege der Zauberei) handhabbar.

Daher sollte auch niemand erwarten, dass man hiermit alle magiebegabten Wesen Myranors spielen kann: der Band beschränkt sich auf Magietraditionen, die im ‚Kern‘ Myranors, oder besser in dem Teil, der durch die bisherigen Publikationen beschrieben wurde, aktiv sind. Man findet also hier Informationen zur optimatischen Magie, zu Schamanen und einigen anderen Fällen.

Der Aufbau des Bandes ist einigermaßen logisch strukturiert: nach einer kurzen Einführung werden zunächst die beschriebenen Traditionen kurz angtesprochen. Dann folgt eine Beschreibung des Sphärenmodells der Myraner – hierbei fällt auf, dass das Aventurische „Zwiebelschalen“-Modell den Modell ähnelt, das die Hjaldinger und Serover benutzen, während das optimatische Sphärenmodell die Sphären eher auf den Eckpunkten eines Oktaeders anordnet, was zum Beispiel die Möglichkeit erklärt, direkt von der Derischen Späre die Sphäre der Götter zu erreichen, ohne hierfür die (laut Aventurischem Weltbild dazwischenliegende) Sphäre der Toten durchqueren zu müssen.

Hiernach kommt eine Erklärung, wie die Beschwörung in Myranor funktioniert – und grundsätzlich scheint in Myranor alles eine Beschwörung in irgendeiner Form darzustellen. In diesem Band wird dann ausführlich auf die Methoden des Instruktion und der spontanen Zauberei eingegangen – die Instruktion ist leichter, aber auch formell rigider -, während auf eine weitere Möglichkeit, die ‚Influxion‘, nur hingewiesen wird und auf spätere Bände verwiesen wird. Hiernach kommt man zur Formelmagie, die in sich dennoch immer noch wesentlich loser geregelt ist als in Aventurien. Viele Beschwörungs-‚Formeln‘ beschwören ein Wesen aus einer der verschiedenen Quellen, und bitten / befehlen einen Dienst von diesem Wesen. Dementsprechend sind die Formeln nach Quellen sortiert, obwohl viele Dienste durch verschiedene Wesenarten geleistet werden können. Die Beschwörung von Wesen wird anschließend ausführlicher erklärt, und abschließend werden Zusatzregeln gegeben, durch die sich zum Beispiel Instruktion und Spontanzauberei voneinander unterscheiden, oder auch die Unterschiede in der Behandflung von Zaubern der verschiedenen Quellen – Dämonen wollen anders behandelt werden als Feenwesen, was sich auch in Regelwerten ausdrückt.

Die genannten Quellen sind übrigens nicht nur, wie es manch ein unbedarfter Aventurier sich vielleicht vorstellt, dämonischer Natur; die Myraner kennen eine Menge verschiedener Quellen. Da gibt es zum einen die elementaren Quellen oder „Essenzen“ (von denen es sieben(!) Typen gibt: Erz, Luft, Wasser, Feuer, Eis, Humus und Kraft), die dämonischen (aus 15 verschiedenen Domänen…), die ’stellaren‘ Quellen (zehn Prinzipien wie zum Beispiel Begierde, Endgültigkeit, Erfolg oder auch Harmonie), Totengeister, Feenwesen und Tiergeister.

Wichtig ist für Erschaffung und spätere Steigerungen, dass die Zauberfähigkeiten hierfür in drei Bereiche aufgegliedert sind: die ‚Matrizen‘ (welche Quelle soll beschworen werden) und die Zauber (zum Beispiel Essenz- oder Wesensbeschwörung) sind Talente, die als solche gesteigert werden können, während die Instruktionen (die ‚Befehle‘ bzw. ‚Bitten‘ die man einem Wesen geben kann, wie zum Beispiel der Dienst Illusion) als Sonderfertigkeit dem Magier bekannt sind oder eben nicht. Formelzauberer müssen die Instruktion kennen, Spontanzauberei kann das Nichtkennen einer Instruktion überspielen, ist aber selbst ebenfalls eine (nicht gerade billige) Wiki AventuricaSonderfertigkeit.

Hiernach stehen dann die verschiedensten Rituale der verschiedenen Traditionen, aufgeteilt in:
* allgemeine Objektrituale – Apport und Bannklinge, die in den Traditionen allgemein bekannt sind, sowie auf viele verschiedene Objekte gesprochen werden können
* Bann- und Schutzkreise
* Modifikationsglyphen, die Kosten, Wirkungsdauer oder auch die Formelstruktur für Spontanzauberei verändern können
* die möglichen Stabzauber (die nicht mehr pro Haus in einer bestimmten Reihenfolge gesprochen werden müssen, man kann sich grundsätzlich seinen Stab selbst entwerfen, allerdings haben die Häuser Vorlieben für bestimmte Zauber)
* Rituale für Siegel und Triopta der Optimatiker, plus das Ritual Engramm, mit dem magisches Wissen übertragen werden kann, was zwar schneller geht als normales Lernen, aber auch energieintensiv ist, so dass es nur selten gemacht wird
* Strafrituale und Speerzauber des Hauses Icemna – eine Besonderheit dieses Hauses, wobei zu den Strafritualen auf die Animisten verswiesen wird
* Vertrautentiere, die von nahezu allen magisch begabten Wesen gefunden werden können
* Ritualplatz des Animisten
* Fetische der Animisten
* Ahnenmagie der Animisten
* Exorzismus
* Strafrituale der Animisten
* magische Instrumente und Zauberlieder der Satudure
* Rituale der Shindramatha

Nach alldem kommt man dann zu allgemeinen Regeln, die aber oftmals aus Aventurien Bekanntes neu interpretieren. So gibt es Regeln über die Regenration von Astralenergie, die magiehemmende Wirkung des Eisens, natürliche magische Begabungen, Blutmagie, Besessenheit, wahre Namen, Dämonenpakte und tödliche Träume.

Wer so weit gekommen ist, dem schwirrt wahrscheinlich schon der Kopf, und Otto Normalleser hat wahrscheinlich schon vergessen, was wohl das Wichtigste an dem ganzen Buch sein soll. Aber genau das folgt jetzt: die Erschaffung eines magischen Myraners. Es erscheint schon sinnvoll, die Erschaffungsregeln erst hier anzubringen, denn wenn man sich bis hier durchgekämpft hat, hat man eine grobe Übersicht über die Möglichkeiten der verschiedenen Optionen.
Wären die Erschaffungsregeln vorne im Buch gewesen, wäre die Versuchung groß, erst ‚probeweise‘ einen Charakter zu erschaffen, was dann zu einem glorreichen Schiffbruch geführt hätte, denn so manche Regel ist doch brandneu.

Nach einer Kurzübersicht – die kaum einen Spieler inhaltlich überraschen dürfte, der schon einmal einen Aventurier oder Myraner erschaffen hat – folgt erst eine Auflistung der Vor- und Nachteile und Sonderfertigkeiten, erst dann folgen Kulturen (Kulturvarianten) und Professionen. Auch hier ist die Reihenfolge wieder eher vorteilhaft, weil man dann beim Durchlesen der Kulturen und Professionen etwas mit den Vor- und Nachteilen anfangen kann. Das Hin- und Herblättern aus Wege der Helden dürfte hiermit etwas geringer werden, wenn auch der Effekt relativ klein sein dürfte. Auch die Professionen sind eher Baukästen – es gibt keine Magierakademien, sondern man erlernt beispielsweise die Fähigkeiten eines Bewegungsmagiers oder eines Illusionisten, und pfropft darauf noch einen Traditionsaufsatz, mit dem der Bewegungsmagier zum Beispiel zu einem Optimatischen Bewegungsmagier, oder einem amaunischen BaLoa der Bewegung wird. Es gibt eine ganze Menge verschiedenster Aufsätze, so dass man seine Magier in nahezu jede Kultur übertragen kann. Und wem diese 30 Aufsätze und die angebotenen Berufsoptionen nicht ausreichen, erhält Regeln an die Hand, wie man weitere Professionen / Aufsätze erstellen kann.

Die Aufsatzbeschreibungen sind zweiteilig: zunächst kommen wertetechnische Beschreibungen mit Talentboni, Voraussetzungen, verbilligten SFs etc., erst nach all diesen Beschreibungen findet man dann eine Text-(„Fluff-„) Beschreibung, die vor allem Hintgergrund und Persönlichkeit beleuchtet. Allerdings stehen hier auch noch Werte: nahezu jeder Aufsatz verfügt noch über ‚Spezialwissen‘, das zum Beispiel bei Zaubern bestimmter Formen (Illusionen, Heilung oder Bewegung, um drei Beispiele zu nennen) einen TaP*-Bonus bieten kann. Bei den Animisten wird hier auch von „Repräsentationen“ gesprochen, da sie spezifisch sind, während beispielsweise alle Optimatischen Aufsätze die optimatische Repräsentation nutzen. Auch der Magiedilettantismus wird hier angesprochen.

Abgeschlossen wird das Buch durch Kapitel über magische Bücher und Wesenheiten, Kraftinien, eine Option wie man einen toten Helden (als Geist) weiterspielen kann, legendäre Magier sowie eine Abhandlung, wie myranische und aventurische Magie(r) auf dem jeweils anderen Kontinent stehen. Vor allem dürfte hier wichtig sein, dass der Talentmalus aus den vorigen Regelwerken ersatzlos verfällt: man hatschon genug Schwierigkeiten mit dem Lehren und Lernen, wenn man auf dem anderen Kontinent ist. Auch wird erklärt, inwieweit der Aventurische Analys bei myranischer Magie Probleme hat, was immerhin auf beiden Kontinenten gleichmäßig gilt.

Auch an Spieler, die schon länger einen myranischen Magier spielen, wurde gedacht, und auch wenn die Neugenerierung (sinnvollerweise) als bessere Option angeraten wird, gibt es Regeln für die Schnellkonvertierung, bei der die meisten Magier und Animisten allerdings ein wenig einbüßen, auch gegenüber neu generierten und gesteigerten Helden.

Eine ganze Menge Holz in einem „kleinen“ Band; ich war überrascht, wie übersichtlich eine derart große Menge Informationen vermittelt werden konnte. Ein Neuling wird sicher in den ganzen Optionen untergehen, und auch ein myranorerfahrener Spieler wird sich bei den ersten drei, vier Magiern schwer tun, die ganzen Optionen sinnvoll zu verwenden. Dennoch scheinen die Regeln gut spielbar und halbwegs ausgewogen zu sein – man wird abwarten müssen, ob die üblichen Verdächtigen in den einschlägigen Foren wieder ‚zig Schlupflöcher finden, durch die man eine eierlegende Wollmilchsau treiben oder einen Supercharakter erschaffen kann. Richtig schlimme Klöpse sind mir jedenfalls nicht aufgefallen.

Als ich zu Beginn (und auch mehrmals im Buch) las, dass für X erst in einem späteren Band Regeln erscheinen werden, dachte ich zuerst, das sei schade, aber es war angesichts der Menge an Informationen, die in diesem Band versammelt sind, wohl unvermeidlich. Es ist auffällig, wie wenig Illustrationen in diesem Band sind, verglichen mit anderen Regelwerken, aber das ist wohl der Materialmenge geschuldet. Gut aussehen tun sie auf jeden Fall, und stimmig und stimmungsvoll sind sie auch.

Von den Archetypen, die auf der DreieichCon gezeigt wurden, habe ich allerdings im Buch nichts entdecken können. Schade, denn bei der Materialmenge wären sie schon eine nette Hilfe für den Anfang.

Interessant ist an den Regeln, dass die Magie in Myranor wesentlich freier und offener ist als in Aventurien – kaum ein Magier wird sich auf die einfacheren Formeln beschränken, wenn er mit nur unwesentlich mehr Aufwand über die Beschwörung viel flexibeler und mächtiger agieren kann. Allerdings reizen die offenen Regeln auch dazu, sie so weit möglich auszunutzen und zu recken, so dass ein Spielleiter, der einen (oder gar mehrere) Magier in seiner Gruppe hat, bei den Zaubern sehr vorsichtig sein muss, damit diese nicht das Spielgleichgewicht aus dem Sattel werfen.

Leider (oder gottseidank, je nachdem wie man das sieht) bedeutet das aber auch, dass man keinen Magier spielen kann, wenn man sich nicht auch zwischen den Sitzungen immer wieder mit dem Charakter und den Regeln beschäftigt, denn diese Freiheit erfordert auch eine gewisse Bekanntheit mit dem System. Wenn man sich aber auf diese ‚zusätzliche Arbeit‘ einläßt, erhält man ein sehr flexibeles Magiegerüst, mit dem man eine Menge anstellen kann.

Im Endeffekt ist meine Empfehlung darum, dass in jeder Gruppe, die Myranor spielt, das Werk mindestens einmal vorhanden sein sollte, weil es die Magier jetzt erst richtig spielbar macht, und das, ohne dass sie wie ein müder Abklatsch der Aventurischen (Gilden-)Magier wirken.