Rezension: Wege nach Myranor

Text: Wiki Aventurica Dennis Rüter

Wege nach Myranor
Generierungsband für profane, magische und geweihte Charaktere (2011)
DSA 4.1; 213 Seiten; 35€ Erstauflage, 50€ Limitierte Edition; HC
Uli Lindner, Jörg Raddatz, Alex Spohr, Heike Kamaris und weitere

Pünktlich zur Weihnachtszeit erschien letztes Jahr der Band, der sich mit der Erschaffung myranischer Helden beschäftigt. Dieser kleine Artikel beschäftigt sich damit und soll den Unentschlossenen bei der Kaufentscheidung helfen.

Aufmachung:

Dieselbe Hydra wie bei Musica Myrana umschlingt eine goldene Statue, während sich eine bunt gemischte Heldengruppe daran macht, sie zur Strecke zu bringen. Mir persönlich gefällt das Bild gut, ich würde es mir durchaus als Poster an die Wand hängen. Das Layout der Texte geht in Ordnung. Bis auf einen etwas klein wirkenden Wiki AventuricaLeonir mit Stabkeule, einen Wiki AventuricaZwerg mit kurzer Lockenpracht, die bekannte hell- statt dunkelhäutige Wiki AventuricaIcemna und eine etwas zu prall ausgestattete Wiki AventuricaHjaldingerin “oben ohne” machen die Bilder einen guten Eindruck.

Spezies:

Wie üblich untergliedert sich die Erschaffung in die Wahl einer Rasse (jetzt Wiki AventuricaSpezies genannt), Kultur und Profession. Die bereits aus dem Hardcover bekannten Rassen Spezies wie Ashariel, Satyare und Risso wurden teils stark überarbeitet, ohne ihren Hintergrund groß zu ändern, schlanker gestaltet und Unsinn gestrichen. So finden sich die albernen Sprachfehler der Amaunir und Shingwa nicht mehr, man kann sie aber noch einsetzen, so Lust dazu besteht. Die Pardir haben nicht mehr „Leben im Jetzt“ als automatischen Nachteil, eine nördliche Variante ist etwas cleverer. Ebenfalls eine größere Verbreitung erfahren die Yachjin, die nun als Kynophekale auch im zentralen Myranor vorkommen. Bei den Kerrishitern heißen sie aber immer noch Yachjin.
Auch die neuen Spezies aus dem seit einiger Zeit angekündigten Band Wiki AventuricaUnter dem Sternenpfeiler und Wiki AventuricaMyranische Götter haben ihren Weg auf die Seiten gefunden. Die an amerikanische Ureinwohner erinnernden Wolfalben als Halbelfen, deren Zauberkraft sich zumindest in der Wolfsverwandlung manifestiert, versprechen dabei besonders interessant zu werden, während ich den neu eingeführten Zwergen nicht viel abgewinnen kann. Hier hätten sich die Autoren ja auch bei den neuen Lyncil – Luchswesen, die in großen Höhlen leben – bedienen können. Die Zentauren als ein Teil des Volks der Kentori können durch ihren Pferde-Unterleib zwar viel tragen, sind aber nicht kräftiger als ein gewöhnlicher Mensch. Dafür bekommen sie immer die 2 Bonus-TP für einige Waffen, da sie quasi als beritten gelten.
Während die Lutraa als verspielte Otter und stets zauberkundige G’Rolmur zu den kleinsten Spezies von DSA zählen und eher die Richtung Dieb und Magier abdecken, sind die hühnenhaften Tighrir (schon als bisher unspielbare Einzelgänger bekannt) hervorragende Kampf- und Wildnis-Charaktere. Übertroffen werden sie noch von den gewaltigen Baramunen, deren Modifikationen – KO und KK je +4 – und automatische Vorteile – natürlicher RS von 2, Schnelle Heilung 2 – sie zu den idealen Frontkämpfern machen. Durch ihre hohe MR aufgrund geringen Abzugs durch Spezies sind sie mir ein Stück zu stark geraten. Zudem gibt es keine Regel für Änderungen durch Wachstumsschübe, obwohl zwischen den jungen Anfänger-Baramunen mit zweieinhalb Schritt Höhe und ein voll ausgewachsenes Exemplar locker ein ganzer Meranier passt. Den großen Fleischfressern stehen Minotauren als kraftvolle Vegetarier gegenüber. Die pflanzlichen D’naa und dreigliedrigen Ha-Meli, erwähnt in kurzen Absätzen des HC, wurden nicht umgesetzt, lassen sich mit den neuen Vor- und Nachteilen aber problemlos nachbauen (mehr dazu unten). Trotz des schlanken Ansatzes füllen allein die automatischen Vor- und Nachteile mancher Spezies die Listen des Heldenbogens mit Leichtigkeit aus.

Zu den Menschen:

Diese wurden teils zusammengefasst. Dralquabar zählen nun zu den Bansumitern, blasse Menschen des Nordens sind Hjaldinger. Die Meranier waren mal deren Vorfahren, entsprechend sind sie kräftiger (KK +1), aber auch weniger fingerfertig (FF-1). Die Vesai, ursprünglich aus Meralis stammend, gehen den umgekehrten Weg, und Ban Bargui besitzen eigentlich eine für ihre Breiten angemessen blasse Haut. Wenn sie mit ihren Rieseninsekten zusammen leben, färben diese ihr Äußeres allerdings dunkel. Die Zusammenlegung gefällt mir. Wer braucht schon mehrere, sich kaum unterscheidende Spezies? Schade ist nur, dass es für die häufigen Misch- formen nur eine allgemeine Tabelle gibt, keine Misch-Spezies. Bei der entfernten Verwandtschaft aventurischer Völker – Hjaldinger/Thorwaler und Vesai/Nivesen – fällt auf, dass Änderungen vom Standard geringer abweichen. Unter anderem fehlt bei Hjaldingern der Mut-Bonus, den andern jene auf IN und KO. Dies mag an der Lebensweise liegen. Da sich nur wenig Hintergrund im Band findet, bleibt das Warten auf UdS zur Klärung dieser Frage.

Kulturen:

Es gibt nur noch sieben davon in Myranor, beginnend mit primitiven Barbaren, die wie die Waldmenschen umherstreifen oder sesshaft sind, aber ihr Auskommen als Jäger und Sammler finden. Bäuerliche Leute leben von der Landwirtschaft und in Dörfern oder Kleinstädten (bis wenige tausend Einwohner). Stadtbewohner besitzen mehr Nachbarn. Bei Hofe meint die Herrscherschichten, im Imperium also Honoraten und Optimaten. (Die Kulturaufsätze aus Wiki AventuricaMyranische Magie können immer noch angewandt werden, werden in WnM aber nicht aufgeführt.) Nomaden leben von und mit ihren Tierherden, Vagabunden dagegen wie ‘Zigeuner’ oder als fahrende (bei den Vinshina fliegende) Händler. Die Maritimen hausen unter Wasser und unterhalten an der Oberfläche nur selten Schmieden zur Herstellung von Metallen. Bereits bekannte Kulturen sind bei den Spezies kurz mit der passenden Variante genannt, ebenso generell eine Angabe üblicher Kulturen, bei Tighrir beispielsweise nur Barbarisch. Aber es steht mit Meisterzustimmung natürlich jedem frei, auch Stadttiger, Unterwasser-Leonir oder Shingwa-Nomaden (Vagabunden gibt’s jetzt schon) zu kreieren. Die Punktkosten von 0 GP je Kultur stehen dem jedenfalls nicht im Weg.
Jede Kultur hat viele Wahlmöglichkeiten, was Talentboni angeht. Allerdings sollten Wildnis-Charaktere nach wie vor am besten in jener aufgewachsen sein, also weniger Stadtkinder oder Höflinge. Zudem besitzt jede eine angepasste Auswahl an Professionen, die für sie typisch sind. Dies gilt insbesondere für die magischen Berufe. So finden sich z. B. die neuen Lichtweber bei den Kulturen, die Lyncil wählen dürfen, sind aber natürlich nur in Ausnahmen von andere Helden wählbar. Leider werden gerade magische Professionen gelegentlich nicht bei jeder passenden Kultur noch einmal genannt.
Damit geht Myranor einen interessanten Weg, den ich richtig finde: Warum braucht es auch mehrere Kulturen bäuerlicher Menschen, wenn jene sich durch die Talentboni kaum voneinander unterscheiden? Zwischen einem weidener und einem aranischen Bauern, einem Ritter aus Albernia und dem Bornland liegen die Differenzen ja eher im Hintergrund. Dem trägt WnM Rechnung und sorgt somit für eine willkommene Vereinfachung. Außerdem umgehen die Autoren das Problem, für jede Rasse mindestens zwei Kulturen zu entwerfen (was etwa auf siebzig hinauslaufen würde), sparen somit Seiten und Regelwust.

Professionen:

Viele profane Variationen wurden zusammengelegt, sodass es jetzt z. B. nur noch eine für Soldaten und Söldner gibt, deren Sonderfertigkeiten und Talentboni-Verteilung sehr frei gewählt werden können. Andere wie Jäger kosten 0 GP, da sie wenige SF automatisch erhalten. Bei den Übernatürlichen kommen keine neuen Grundprofessionen hinzu – diese sind ja so schon verschieden genug –, dafür aber neue Traditionen, meist für neue Spezies. Darunter finden sich zwei der Optimatiker. Die bereits erwähnten Lichtweber der Lyncil sind gut im Bereich der Anti-Magie und Schutz gegen Dämonen, die Falschgesichter der Wolfalben Verwandler. Neues Spezialwissen gibt es jedoch nicht: Erstere haben jenes der Celiu-Brajanos, Letztere das der Aldangara erhalten.
Nun gut, eine etwas schlichte Lösung, aber wenn es zum Hintergrund passt, soll’s mir recht sein.
Alle andere Neuzugänge sind Animisten, wobei die Zauberkomponenten die klassischen Vorgänge Sicht, Konzentration, Gesten und/oder gesprochene Worte beinhalten. Hier hätte mal eine Änderung gut getan, so wie die tanzenden Mudramulim aus den dunklen Zeiten. Dazu kommen noch ein paar Extra-ZfP* bei je zwei passenden Quellen und meist eine verlängerte Beseelungsdauer bei Geistern, Genien und Archonten aus selbigen.
Die bereits aus Myranische Magie bekannten Traditionen werden nicht noch einmal beschrieben. Selbiges gilt für Liturgien und das System der spontanen Götteranrufung der Geweihten, sodass hier die entsprechenden Bände präsent sein müssen.
Bei dieser Vielfalt an Wahlmöglichkeiten bei jeder Profession wird keine Startausrüstung mitgegeben. Stattdessen erhalten Helden entsprechend ihren Talent-Boni die Möglichkeit, sich Waffen etc. zu wählen. Je höher ein Bonus, desto teurer darf der Gegenstand sein. Dazu kommt das übliche Handgeld durch den SO.

Andere Regeln:

Außer den aus Aventurien und dem HC bekannten Punkteverschlingern und – bringern wurde eine ganze Reihe neuer erfunden. So gibt es Flink nun für verschiedene Elemente – am Boden, in der Luft, im Wasser – und Pferdeunterleibe für die Zentauren. Ob alle davon notwendig sind, muss jeder selbst für sich beantworten.
So fragte ein Schreiber im Ulisses-Forum, ob es für Zentauren wirklich des Vorteils Galopp bedarf. Bei näherem Nachdenken muss ich zugeben, dass vielleicht Flink und Ausdauernd gereicht hätten. Einige Vor- und Nachteile wurden noch nicht bei einer existierenden Rasse verbraten: mineralische Lebewesen oder Pflanzen lassen sich damit so realisieren, ebenso wie Schlangen ohne Beine, aber mit vier Armen. Skrechu, leg dir den Band zu !
Bei den SF hat sich nicht viel getan. Ins Auge sticht hier zum Einen die Änderung der Kulturkunde, die nun ganze Spezies betrifft. Alternativ gibt es ein System, das wie bisher mit Regionen arbeitet, die zu Gruppen geordnet sind, sodass beispielsweise ein Imperialer aus Mayenios nur geringe Aufschläge in Harpalis erhält. Die Andere betrifft den mehrhändigen Kampf. Beidhändig I und II entsprechen jetzt der ersten Stufe der SF Mehrhändig (mit allen Vorteilen), jede weitere Stufe erlaubt eine zusätzliche Aktion, so die entsprechende Bewaffnung vorliegt. Von Haus aus gibt es drei Stufen der SF für die Neristu mit vier, für selbst erstellte Spezies mit mehr Armen sind weitere denkbar. Zudem erleidet ein Neristu bei Nutzung des unteren Armpaars nur noch die Abzüge wie beim Kampf mit der falschen Hand, wenn er eben nicht entsprechend Mehrhändig (und Linkhand) besitzt. Diese Änderung gefällt mir gut. Dass dazu noch ein paar neue Manöver wie Doppeltritt für Zentauren kommen, fällt kaum ins Gewicht, zeigt aber, dass sich die Autoren hier wirklich Gedanken gemacht haben.
Die meisten Kampfregeln stehen allerdings nach wie vor in Wiki AventuricaWege des Schwerts, weshalb jenes Buch ebenfalls zum Spielen vorhanden sein muss. Das ist etwas schade auf der einen Seite, andererseits wird wohl jeder DSA-4.1-Spieler ein WdS bei sich zu Haus haben. Und nochmal fünfzig Seiten extra für 5 Euro mehr, die eh schon jeder kennt und hat, sind bei näherer Betrachtung doch vollkommen unnötig.

Sonstiges:

Bei den ganzen Neuerungen ist es schön, dass ein Kapitel für Eigenkreationen beiliegt. Etwas knapp gehaltene Ausrüstungslisten mit Waffen, Rüstungen etc. dienen der Ausstattung neuer Helden und können im Spiel mal eben nachgeschlagen werden. Eine kurze Beschreibung der Bevölkerungsschichten im Imperium – samt Rechten – dürfte beim Spielen ebenfalls eine große Hilfe bieten. Ich habe sie an unserem ersten Myranor-Testabend aber noch nicht gebraucht.

Bewertung:

Spezies: 4 von 5
Kulturen: 5 von 5
Professionen: 4 von 5
Andere Regeln: 4 von 5
Sonstiges: 4 von 5
Insgesamt: 21 von 25 Punkten

Fazit:

Für Myranorfans eine lohnende Anschaffung, weshalb ich den Band jedem ans Herz lege, der das Güldenland mag. Da es kaum Hintergrund gibt, ist WnM allein für einen Einstieg etwas ungeeignet, und mancher ärgert sich über die teils starken Änderungen bei der Erschaffung. Aber mir gefällt’s.