Text: Peter Horstmann
Vorgeschichte
Nach einer langen – und für die Macher sehr arbeitsreichen Zeitspanne – liegt nun die neue Version der Spielhilfe Myranor – das Güldenland vor.
Kaum ein Werk aus den Federn von FanPro hat eine so intensive Diskussion ausgelöst wie die Spielhilfe Myranor aus dem Jahr 2000. In Fankreisen heute gerne als DSA 3.8 oder DSA 4.0 beta bezeichnet, war es die erste Version eines neuen und erweiterten Regelsystems, welches mit einer ebenfalls neuen Spielwelt kombiniert wurde. Diese Kombination mag unglücklich gewesen sein, lag aber im Erscheinungszeitraum begründet. Die dritte Edition der Regeln war schon lange an ihre Grenzen gestoßen und bedurfte einer Überarbeitung. Über das Güldenland war ebenfalls schon häufiger in kurzen Passagen berichtet worden und über Jahre hinweg wurde so die Neugierde der Fans gesteigert. Als dann im Oktober 2000 die mit Spannung erwartete Box erschien, waren erst einmal Geschrei und Enttäuschung groß. Viele hatte ein ganz anderes Güldenland erwartet, die Qualität von Inhalt und Zeichnungen entsprach nicht ihren Erwartungen – und teilweise auch nicht dem bekannten hohen Niveau der Aventurien-Publikationen – und auch die vorgestellten Rassen und Professionen fanden viele Gegner. Es dauerte einige Zeit, bis man sich durch die Neuerungen hindurchgearbeitet hatte und dann den Schatz an Möglichkeiten fand, den Myranor zu bieten hat. Heute noch begehen viele Spieler gerne den Fehler, die Publikationen in DSA und Myranor zu unterteilen.
Das Konzept von Myranor beinhaltete bisher immer die freie Entfaltung und eine große Bandbreite an Möglichkeiten für aktive Spielleiter. Dies geschah im bewussten Gegensatz zu Aventurien, wo gerade in den Neunziger Jahren eine enorme Dichte an Politik und redaktioneller Vorgabe eine freie Entfaltung von Ideen schwer gemacht hatte. Durch ein anderes historisches Setting in Myranor sollte auch eine inhaltliche Alternative zum mittelalterlichen Aventurien geschaffen werden.
Doch gerade die vielen Neuerungen fanden ihre Kritiker und das Wort „High Fantasy“, mit dem Myranor seine vielen Möglichkeiten umschrieb, wurde zum Schimpfwort degradiert.
Nach nun fünf Jahren voller Anfeindungen, Diskussionen und Verteidigungen sind die Erwartungen wieder bis zum Maximum gesteigert und die Ansprüche an die Überarbeitung, die nun endlich Myranor zu der Anerkennung verhelfen soll, die es in Fan-Augen verdient, sind kaum zu toppen. Werfen wir also einen kritischen Blick auf unsere neue „Heilige Schrift“:
Myranor 4.1 – Das Güldenland
Schon auf der Titelseite fällt ein Abschnitt ins Auge, der uns bei Memoria Myrana mit Freude erfüllt:
Das geht natürlich runter wie Öl.
Das Werk lässt sich in mehrere Bereiche einteilen. Auf den ersten 105 Seiten wird ein Überblick über den Kontinent im Stile einer Myranographica gegeben. Dabei wurden die Texte weitgehend aus VSnX übernommen und ergänzt. So sind z.B. die Beschreibungen der Hohen Häuser nicht nur mit spielrelevanten Informationen ergänzt worden, nun finden sich auch die entmachteten und verbannten Häuser in dieser Aufstellung angemessen berücksichtigt. Auch die Anordnung der Themengebiete und Artikel wurde sinnvoll verändert.
Nachdem ein Einblick in Kultur, Aufbau und Gesellschaft des Imperiums gegeben wurde, werden die einzelnen Horasiate des südlichen Imperiums vorgestellt. Auffälligste Neuerung ist dabei der Einbau von Kartenteilen, was eine Orientierung deutlich verbessert. Die Texte folgen den Vorgaben aus VSnX und werden durch Karten, Bilder und Informationen aus passenden Abenteuern und anderen Publikationen ergänzt. Nach fast 70 Seiten Imperium werden die Nachbarn unter die Lupe genommen. Auch hier finden sich passende Kartenausschnitte. Nach den Regionen folgen die einzelnen Völker mit ihren Darstellungen. Die Texte sind eine Zusammenstellung aus den einzelnen bekannten Spielhilfen ergänzt, mit nur wenig mehr Material. Als Neuerung sind die Texte über eine mythische Stadt der Neristu und die Berichte über die Andramaunir zu sehen. Sicherlich zur Freude der Spieler haben die Baramunen ebenfalls einen erweiterten Text bekommen.
Die Seiten 106 bis 204 widmen sich der Heldengenerierung.
Die Grundlagen für die vierte Edition sind inzwischen allgemein angenommen worden und liegen in verschiedenen Regelwerken vor. Darauf beruft sich nun auch Myranor, indem es die Regelwerke aus der Schwerter und Helden – Box als Referenz benutzt. Diese Vorgaben werden nur durch myranische Spezifikationen ergänzt. Weitere Bücher der grünen oder roten Reihe sind nicht nötig. Trotz dieser „Beschränkung“ wartet das Buch mit einer Fülle von Rassen, Kulturen, Professionen und Varianten auf. Die Generierung wird kurz, aber sehr verständlich dargestellt, und als Alternative zum Selbsterstellen werden Archetypen geboten, mit denen man sofort ins Spiel starten kann. Um ein umständliches Blättern zu vermeiden, werden die Listen der Vor- und Nachteile komplett dargestellt, lediglich für die ausführliche Beschreibung wird auf AH verwiesen. An Myranor angepasste oder rein myranische Vor- und Nachteile werden auf etwa acht Seiten vorgestellt. Ähnliches gilt für die Sonderfertigkeiten, wo gerade beim Kampf ein Hinweis auf MBK vollkommen ausreichend ist.
Die Darstellung der Rassen startet mit den südimperialen (meranischen) Menschen, die mit fünf Kulturen vorgestellt werden. Darin unterscheiden sie sich erst einmal nicht von den Vorgaben in der ersten Edition. Um eine breitere Palette an individuellen Helden zu schaffen und um den unterschiedlichen Regionen des Imperiums Rechnung zu tragen, wurden fast zwei Dutzend Varianten geschaffen, die Einfluss auf den Helden haben. Nun ist es schon ein Unterschied, ob ein Held aus Sidor Valantis stammt und damit zur Variante Valantia Stadtbevölkerung gehört oder ob er von einer Domäne aus dem Umland (Valantia Landbevölkerung) kommt.
Die Bansumiter werden als zweite Rasse vorgestellt. Neben den vier bekannten Kulturen wurde, wie bei fast allen Rassen, die Möglichkeit auf Abishai ergänzt und mit den Ostküsten-Kerrishitern eine neue Kultur spielbar gemacht. Auch die Bansumiter verfügen über einige Varianten.
Die DralquabarDralquabar mit den Kulturen Schabkrah und Sholai sind ebenfalls schon bekannt und wurden in der Spielhilfe Handelsfürsten & Wüstenkrieger näher beleuchtet.
Als nächste Rasse erscheinen die Ravesaran, mit der Kultur imperiale Ravesaran, die freien Ravesaran sind auch weiterhin nicht spielbar.
Damit sind die „menschlichen“ Rassen vorgestellt und es folgen die Feliden.
Diese werden von den Amaunir begonnen und mit den fünf bekannten Kulturen vorgestellt. Die Leonir finden wir mit ihren bekannten drei Kulturen und auch die Pardir behalten ihre beiden Kulturen. Den feliden Rassen folgen die Ashariel aus Myranische Mysterien. Diese werden in zwei Kulturen aufgeteilt und damit ebenfalls erweitert. Danach werden die Satyare vorgestellt, wie wir sie bereits kennen, mit zwei Kulturen. Die Neristu können ebenfalls einen Zuwachs an Kulturen verzeichnen. Neben den imperialen Neristu wurden die Koromanthia-Neristu und eine Kultur für Anneristalya beigefügt und haben zusammen diese Kulturen insgesamt vier Varianten. Die Shingwa werden um die Kultur der wilden Shingwa bereichert, die nun wesentlich ausführlicher als in MyMy dargestellt wird. Die Imperialen Shingwa werden zusätzlich in zwei Varianten unterteilt. Also auch hier eine Vervielfältigung der Möglichkeiten. Die Shinoqi bleiben auf ihre Kultur der Savannenbewohner beschränkt. Die Yachjin sind in H&W vorgestellt worden und nun mit allen drei Kulturen im HC vertreten. Den Abschluss der Rassenvorstellung bilden die Meeresbewohner. Die Loualil werden mit den bekannten zwei Kulturen dargestellt und auch die Risso bleiben auf die in WNM vorgestellten zwei Kulturen beschränkt.
Somit kann man als Zusammenfassung über die Rassen und Kulturen sagen, dass Wert auf Spielbarkeit gesetzt wurde, weshalb gerade die Menschen als beherrschende Rasse eine Aufteilung und Differenzierung erhalten haben, wohingegen Rassen, die schon sehr ausgebreitet waren, wie z.B. die Feliden, nur geringe Abweichungen in der Vielfalt zeigen. Dies ist sicherlich als eine Reaktion auf die Wünsche der Fans zu sehen. Dass nicht auch andere Rassen aufgenommen wurden, wie etwa die Ban Bargui oder die Baramunen, ist in der Beschränkung auf das südliche Imperium begründet. Die anderen Regionen könnten in weiteren Ergänzungsbänden behandelt werden. Dieser Eindruck findet sich im gesamten Werk wiederholt. Der Modulcharakter des Buches wird immer wieder deutlich. Bleibt also zu hoffen, dass es genug Anklang findet.
Damit hat man nun aber nicht nur eine Kompilation der bereits vorhandenen Materialien, sondern meiner Meigung nach eine Erweiterung geschaffen. Es wurden mehr Informationen gegeben, ohne eine Einschränkung der eigenen Phantasie zu schaffen.
Bei den Kulturen muss noch etwas über die Optimaten gesagt werden. Da ein eigener Band über die Magie geplant ist, wurde dieser Bereich sinnvoll beschränkt. Wie bereits seit längerer Zeit bekannt, sind in dieser Neuauflage nur die Häuser Alantinos, Icemna, Kouramnion und Tharamnos wiedergegeben.
Die Professionen
Viele der vorgestellten Professionen sind an die Verhältnisse im Myranischen Imperium angepasste Professionen, die man auch in AH findet. Da wir es auf den beiden Kontinenten mit unterschiedlichen sozialen und historischen Gegebenheiten zu tun haben, war dies eine zwingende Arbeit. Daneben finden wir aber auch echt myranische Berufe, wie den Insektenlenker, den Schwarmer, den Jharranevi oder Myrmidonen. Andere Professionen können direkt aus den Listen in AH übernommen werden. Die Anzahl der Professionen hat sich von ca. 50 in WnM auf 59 nicht-kämpferische Professionen erweitert, die häufig noch über eine Vielzahl von Varianten verfügen.
Gerade bei den kämpferischen sind viele neue Professionen mit unzähligen Varianten angegeben worden, sodass nun nicht nur eine differenzierte militärische Vergangenheit des eigenen Helden möglich ist, sondern auch eine gezielte Ausgestaltung der Meisterfiguren. Zusammenfassend lässt sich wohl von einer Verdopplung des Angebotes sprechen.
Als Abschluss dieses Blockes werden noch die magischen Professionen erwähnt. Neben den Magiern der vorgestellten vier Häuser wird für die Animisten die BaLoa vorgestellt. Für die Priester, die bisher spielbar waren, wird auf eine baldige Präsentation auf der Homepage von FanPro verwiesen.
Die spezifisch myranischen Eigenschaften der Talente werden nun im Anschluss behandelt. Nach einer Zusammenfassung der in der Basis-Box enthaltenen Regeln findet sich eine Auflistung der unterschiedlichen Talente und Sonderfertigkeiten mit entsprechenden Erläuterungen. Es folgt die Darstellung der Besonderheiten beim Kampf, außerdem Kapitel über Bewaffnung, eine Vorstellung der Talente und Sonderfertigkeiten, wie man es aus MBK gewohnt ist. Dabei werden nicht nur typisch myranische Eigenheiten, wie etwa der Kampf mit vier Waffen bei Neristu oder der Sturzflug-Angriff der Ashariel, vorgestellt, sondern auch die inzwischen erschienenen Errata und Neuerungen zu DSA 4.1 vorgestellt und berücksichtigt. Eine besondere Beachtung verdient die Darstellung der waffenlosen Kampfstile, die für die einzelnen Spezies ausgearbeitet wurden. Diese umfassende Darstellung kompiliert nicht nur vorhandenes Material, sondern bringt auch eine Menge neuer Informationen.
Nach über 230 Seiten erreicht man das Kapitel über Magie. Wie in diversen Workshops und Foren bereits angekündigt, begnügt man sich mit einer „kurzen“ Darstellung, immerhin noch 20 Seiten, und verweist auf eine spätere Publikation.
Die myranische Magie ist weitgehend gleich geblieben. Das Probensystem wurde jedoch gerade für die Optimaten feiner differenziert. Gravierende Unterschiede zu den bisherigen Publikationen finden sich bei den Animisten. Die Darstellung wurde wesentlich klarer und die Möglichkeiten wurden erweitert. So ist es nun einfacher, einen Geist über längere Zeit in den Körper der BaLoa aufzunehmen. Die magischen Sonderfertigkeiten umfassen für die Animisten die Benutzung von Opferblut und Exorzismen, während Optimaten eine Anzahl von Stabzaubern bekommen. Auch bei der Erstellung von eigenen Matrizen gibt es eine Sonderfertigkeit, die die Qualität der Matrix verbessern kann.
Im Anschluß an die Magie wird der Leser mit einer Vielzahl von „wissenschaftlichen“ Themen konfrontiert. Dabei handelt es sich um Darstellungen wie die Eigenschaften von Naturräumen, z.B. unter Wasser oder an Bord eines Luftschiffes. Es folgen Kapitel über die Pflanzen und Tiere Myranors, über Krankheiten, Dienstleistungen, Preise und andere fürs Spiel wichtige Informationen. Diese sind aus den bisherigen Publikationen teilweise schon bekannt, wurden allerdings an die Vorgaben und Stile von DSA 4.1 und z.B. Zoo-Botanica Aventurica angepasst. Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit den Umständen, denen Aventurier in Myranor ausgesetzt sind. Auch finden sich in diesem Anhang die angepassten Archetypen und ein ausführliches Lexikon.
Fazit:
Das HardCover kommt mit einer Flut von Informationen daher, die einen Anfänger durchaus einschüchtern können. Aber bereits auf den zweiten Blick wird deutlich, dass man eigentlich nur dem vorgegebenen System folgen muss, um an alle Details zu kommen, die man gerade braucht. Durch die Zusammenlegung der vorhandenen Spielhilfen konnten die Themen effektiver sortiert werden und sind eindeutig effektiver zu nutzen.
Über den Gewinn, den man durch die Anpassung an E4.1 bekommt, brauche ich nicht viel zu schreiben, das liegt auf der Hand. Durch die „Symbiose“ mit der Schwerter und Helden – Box konnte mehr Übersichtlichkeit gewonnen werden, was dem Buch eindeutig zugute kommt. Für einen Einstieg sind nun alle wesentlichen Voraussetzungen gegeben; wer tiefer in die Materie eindringen möchte, findet in der genannten Box alles, was er dazu braucht. So hat man für insgesamt 80€ nicht nur ein vollständiges Regelwerk, sondern gleich auch noch eine Menge an Informationen, Anregungen und Hinweisen, die auch für Spielleiter ausreichen, die nicht schon seit Jahrzehnten durch Aventurien meistern.
Sprachlich erscheint mir das HardCover verständlicher zu sein als seine Vorgänger. Besonders im Bereich der Heldengenerierung ist es erfreulich verständlich geschrieben und erklärt einfach und ausführlich die einzelnen Schritte. Diesmal ist es Myranor, das von den Erfahrungen der aventurischen E4 profitiert.
1 Diese Rezension wurde möglich, da Thomas Römer und Christoph Daether so freundlich waren, uns eine Vorabinfo zu schicken, sodass wir genug Zeit hatten, das Material zu sichten. Vielen Dank dafür.