Text: Dennis Rüter
Obwohl ich für dieses Fanzine schreibe, war ich doch nicht an der Entstehung des neuen Hintergrundbandes beteiligt. Ich habe genauso auf ihn gewartet, wie alle andern Fans dieses fantastischen Kontinents. Jetzt, wo ein wenig Zeit seit der Veröffentlichung – die lange Entstehung lasse ich mal außen vor – vergangen ist, wird es Zeit, das Buch einem kritischen Blick zu unterziehen.
Eines vorweg: es handelt sich um eine Beschreibung des nördlichen Myranors, von Tharpura nordwärts, wobei dem Imperium ein Großteil der Texte gilt. Der Süden wird nur am Rande angerissen.
Aufmachung:
Das Cover ziert eine Heldengruppe im Kampf gegen einen Hippogriffenreiter. Im Hintergrund ist der Sternenpfeiler mit einem kleinen Teil der imperialen Hauptstadt Dorinthapolis samt des großen Sees zu sehen. Diese Heldengruppe war schon bei Wege nach Myranor zu sehen. Im Band selbst finden sich größtenteils neue Bilder, und selbst altbekannte zeigen sich in neuer Pracht, da das Buch in Vollfarbe daherkommt. Das gefällt mir sehr gut. Wenige Ausreißer wie den schon bekannten Leonir mit der Stabkeule, die eher wie Spielzeug wirkt, fallen da nicht ins Gewicht.
Grundlagen:
Etwas weniger als ein Viertel des Umfangs haben die Autoren zur Beschreibung allgemeiner Grundlagen verwendet. Darunter fällt ein großer Geschichtsteil, der neben neuen Details auch bisher Bekanntes aufgreift und teils neu einordnet. So waren die Mholurenkriege nur ein Teil der Glaubenskriege vor Gründung des Imperiums. Zu einigen Gegebenheiten gibt es konkretere Angaben: so wurden die Melarythor in den Senatskriegen entmachtet, kurz danach die Nesseria, denen man die Hauptschuld am Konflikt in die Sandalen schob. Ebenso gesellt sich zum bisher bekannten Äußeren auch ein stärkerer innerer Verfall, in den letzten Jahrhunderten ausgedrückt in Intrigen um die hohen Posten im Imperium.
Auf kurze Angaben zu Währung, Religion und ein wenig andern Kram folgt ein Kapitel über den Aufbau der imperialen Gesellschaft samt Rechten der inzwischen vier Stände (Sklaven sind kein eigener), der imperialen Regierung und Armee. Der Thearch nimmt dabei die Rolle eines entrückten Oberhaupts ein und kümmert sich um Gegebenheiten, von denen die Normalsterblichen nicht mal gehört haben. Der Dorokrat dagegen ist Oberbefehlshaber des Militärs und somit eine öffentliche Person. Irgendwo dazwischen steht der imperiale Senat mit seinen Gremien.
Danach geht es weiter mit den Städten, die als Zentren der Provinzen das Herz des Reichs bilden. Ein Städtegenerator zum Auswürfeln von Ortschaften enthält auch Angaben, wie viel Platz eine bestimmte Einrichtung üblicherweise benötigt. Dabei gilt: letztendlich ist die Verwaltung nicht sehr einflussreich, die verschiedenen Ebenen scheinen üblicherweise gegen- statt miteinander zu arbeiten, und jeder noch so popelige Trodinar im letzten Kaff lässt sich nicht einfach was vom Sternenpfeiler oder Hausgenossen der Nachbarprovinz sagen.
Das Alltagsleben enthält unter anderem Angaben zu Kleidung, Nahrung und Zeitvertreib: vom Ballspiel bis zu Gladiatorenkämpfen ist alles vertreten. So hat der Leser einen guten Überblick über das Imperium, kann eigene Stadtstaaten entwerfen und mit Leben füllen. Eine beliebig platzierbare Beispielortschaft wäre zwar hilfreich, ihr Verlust aber vertretbar.
Andere Kulturen:
Nach dem Imperium werden die andern Kulturen beschrieben. Diese Angaben sind umfangreicher als in WnM, sie bilden den Hintergrund und nehmen im Schnitt zwei Seiten ein. Darunter sind Altbekannte wie die Leonir, aber auch Neuzugänge wie die rassistischen Ban Bargui oder Minotauren. Es werden konkrete Schätzungen zur Anzahl der verschiedenen Spezies genannt, ebenso die Sichtweise des Imperiums auf selbige. Zwischen den ehrvollen Leonir und den grausamen Pardir besteht schon in der allgemeinen Wahrnehmung ein himmelweiter Unterschied. Die einzelnen Punkte wie Mentalität und Glauben werden gut und vorstellbar beschrieben.
Unterkulturen folgen meist im passenden Regionalteil, sofern sie sich bedeutend unterscheiden. Bei vielen bedeutet dies, dass sie sich auf die Nennung ihres Namens und der Lebensweise in diesem Teil beschränken (Stichwort Leitkultur). Aber mit etwas Kreativität sollte das noch zu schaffen sein. Außerdem besitzen die meisten Spezies sowieso nur eine Kultur.
Gravierend störend erweist sich da schon die logikfreie Reihenfolge, in der die Kulturen angeordnet sind. Dass erst Menschen und danach Andere folgen, ist ja noch verständlich, aber dass z. B. Pardir, Ashariel, Lyncil und Wolfalben hintereinander stehen, ist ziemlicher Unfug. Beim nächsten Mal bitte alphabetisch!
In der Wildnis:
Fortbewegungsmittel, verschiedene Landschaftstypen und die dort häufigen Monster wurden in einem kleinen Abschnitt zusammengefasst. Für konkrete Werte, wie viele Meilen ein entsprechendes Gefährt zurücklegen kann, dient WnM – wobei ich davon ausgehe, dass sich Luftschiffe doch schneller bewegen, als es die entsprechende Tabelle darlegt, schließlich fliegen die Dinger. Dafür gibt es hier die wenigen Flugrouten der exklusiven Passagier-Fluggeräte, welche die meisten wichtigen Großstädte des Imperiums miteinander verbinden. Bei den Monstern werden zwar alle möglichen kurz angerissen, Werte zum Spielen gibt es jedoch nur bei den Kulturschaffenden und einigen Übernatürlichen. Da müssen wir noch ein Weilchen den Hardcover mitschlören, bis ein Kreaturenband diesen endgültig ersetzt. Zumindest bei bekannten Viechern hätten sich Angaben leicht übernehmen lassen, dazu ein Dutzend neue, schon könnte der HC zuhause bleiben. Das ist schade, trifft eine Heldengruppe bei Reisen in der Wildnis – was gelegentlich vorkommen soll – doch leicht mal auf einen Nanthar oder Khemosi.
Regionalbeschreibungen:
Mit Abstand den größten Teil (ca. 130 Seiten) nehmen die einzelnen Länder ein. Jedes Horasiat bzw. entsprechend große Region im Ausland ist auf mehreren Seiten beschrieben, inklusive kleiner Übersichtskarte. Grob unterteilt wird der nördliche Kontinent in einen Nordteil, die Mitte und den Süden. Die ersten Beiden sind komplett neu, angefangen bei Serovia, der Kaufmannsrepublik mit gewissen Parallelen zu den Niederlanden – Deichbau und Seefahrt, nicht Tulpen oder Wohnwagen – über die Wildnis und Steppen bis zum zentralen Imperium. Jedes Land bekommt dabei Wappen, Landschaft und Klima, Angaben zur Bevölkerung (zwei Millionen Serover leben auf den Inseln), geografische Besonderheiten (inklusive Abschnitt zur Hauptstadt), Aussehen der Siedlungen, wie die Gesellschaft geprägt ist etc. Ein kleiner Kasten nennt die üblichen Spezies und Kulturen, jedoch nur als Variation der imperialen Kultur. Leben dort (auch) Fremdrassen, werden diese nur im Text genannt und auf ihre Kultur im vorderen Teil verwiesen.
Centralis als Herz des Imperiums besitzt eine längere Beschreibung, hauptsächlich der Hauptstadt wegen. Hier zeigt sich auch, dass die Autoren ein paar Regionen zusammengefasst haben: neben Centralis selbst bilden drei ehemalige Horasiate im Osten jetzt Gyldraland. Dorinthapolis, Hauptstadt des Imperiums, besitzt vier Stadtteile und 36 Distrikte, wobei gnädigerweise Letztere nicht einzeln beschrieben sind. Bei den Stadtteilen einzeln genannt sind besondere Bauwerke, darunter natürlich der Sternenpfeiler. Aber auch Angaben zu Verwaltung und Versorgung finden sich, wobei wieder gilt: alle gegeneinander. Beim Süden hat sich hingegen nicht groß was getan, außer dass jetzt Valantia weniger an Mittelmeer als Savanne erinnert – bei dem Breitengrad verständlich. Zu den Landen des fernen Südens ab Shindrabar und Makshapuram gibt es kurze Teaser, die mir schon mal Lust machen, irgendwann die auf Vögeln reitenden, wilden Vesai in Meralis zu besuchen.
Leider wird hier manches Mal nicht allgemeines Wissen ohne Hinweis in den Beschreibungen genannt, gerade bei ein paar großen Wäldern. Spielleiter sollten ihren Spielern daher nahelegen, nur die allgemeinen Teile vorn und ihre jeweilige Region(-en) nachzulesen, da sie sich sonst ein paar Spielabende kaputt machen können.
Der Rest:
Was kann danach kommen? Eine Menge! Der Rest entfällt auf einen Teil mit Gegnerwerten – wie gesagt leider keine Tiere – und Geheimnissen für den Spielleiter. Dies fängt bei Interna imperialer Politik an – beispielsweise womit sich der Thearch beschäftigt und wieso ein junger Spund seinerzeit in dieses Amt berufen wurde – und endet bei einigen zwielichtigen Gemeinschaften. Organisationen, die nur außerhalb des Imperiums in bestimmten Gegenden existieren, gibt es aber nicht, auch keine Angaben zu Intrigen, z. B. am Hofe in Rhacornos. Dieser Teil ist für Spieler natürlich tabu!
Ein Index und große Karte, die auf der Rückseite den groben Stadtplan von Dorinthapolis und die verschiedenen Länder nördlich des Äquators mit Grenzen und Wappen zeigt, runden das Buch ab.
Bewertung:
Aufmachung | 5 von 5 |
Grundlagen | 4 von 5 |
Andere Kulturen | 4 von 5 |
In der Wildnis | 3 von 5 |
Regionalbeschreibungen | 4 von 5 |
Der Rest | 4 von 5 |
Gesamt | 24 von 30 Punkten |
Fazit:
Neben den weißen Flecken sind viele Kleinigkeiten ergänzt und ausgebaut, sodass sich zusammen mit den Regelbänden schon fast ein Kreis gebildet hat. Das Fehlen von Werten für Tiere und die wirre Anordnung der andern Kulturbeschreibungen empfinde ich als die großen Schwachpunkte. Es bleiben aber immer noch genug Kaufgründe, daher: zugreifen, wenn ihr Myranor spielt.