Archiv der Kategorie: 2011
Myranor-Publikationen und Produkte des Jahres 2011
Jenseits des Horizonts
Dioikisithea – Göttin der Bürokratie
Dieser Artikel stammt aus der Memoria Myrana 31 (2004)
von Kirsten Schwabe & Jan Stawarz
Bürokratia, die Ewig Wartende, Herrin der Akten, die Geduldige
Vom Wesen der Gottheit
„So lasst mich erzählen, die Legende der Dioikisithea! Vor ewigen Zeiten wurde die Sterbliche Aurione als junge Rechtsgelehrte Zeuge einer anrückenden Ban Bargui-Armee auf ihr Heimatdorf. Sogleich machte sie sich auf den Weg zur örtlichen Verwaltung, um vor der drohenden Gefahr zu warnen. Doch statt sich gleich zur Spitze der Schlange vorzudrängeln, wartete Aurione geduldig, bis sie an der Reihe war. Diese Disziplin und das brajan-gefällige Verhalten rührten das Herz des Gebieters der Götter und er verzögerte den Angriff der wilden Horden, bis Aurione ihre Warnung aussprechen konnte und die Myrmidonen zur Verstärkung eintrafen. Bei dem folgenden Kampf traf ein verirrter Pfeil die junge Frau und tötete sie auf der Stelle. Brajan war ergriffen vom Schicksal der Frau und so erhob er sie als seine Dienerin in den Götterhimmel. Er ernannte sie zu Dioikisithea, der Schutzheiligen all derer, die ein Ersuchen bei den Behörden vortragen wollen.“ —die Legende der Dioikisithea, erzählt von einem wandernden Barden
Dioikisithea ist eine Dienerin des Brajan, die besonders in Metropolen mit vielen Verwaltungsstrukturen verehrt wird. Um ihre Vergöttlichung kreisen einige Legenden und auch ihr Aufgabenbereich ist im Laufe der Jahrhunderte gewachsen. Mittlerweile gilt sie sowohl als Göttin der Verwaltungsbeamten als auch als Göttin der Antragsteller, die geduldig auf ein Vortragen ihres Anliegens warten. Bevor man ein wichtiges Gesuch vorträgt, opfert man üblicherweise der Dioikisithea, um auf ein wohlwollendes Ohr für die Angelegenheit zu stoßen und die
Wartezeit standhaft durchzustehen.
Symbolik
Wenn Dioikisithea auf Bildern dargestellt wird, so häufig als junge Rechtsgelehrte mit Schriftrollen in der Hand. Manchmal wird sie auch dreiäugig abgebildet, was ihre Nähe zum Götterfürsten
Brajan symbolisiert, auch wenn sich die Legenden einig sind, dass sie keine Optimatin war. Das Symbol der Dioikisithea sind drei Ameisen, die um eine Schriftrolle wandern. Die Ameisen stehen dabei für eine fleißige und effiziente Verwaltung. Spötter weisen dagegen darauf hin, dass die Ameisen im Kreis laufen, ganz so wie auch manche Verwaltung im Imperium. Dementsprechend gilt die fleißige Ameise als heiliges Tier der Dioikisithea – auf jeden Fall bei der Verehrung durch Verwaltungsbeamte. Bei denjenigen die auf die Gunst derselben warten, sind es eher Schildkröten, Schnecken, an der Küste auch Kraken und im Süden Faultiere.
Heilige Orte
Als heiliger Ort gilt der Sternenpfeiler als Inbegriff der Verwaltung eines riesigen Imperiums. Dort gibt es allerdings keinen speziellen Platz der Verehrung, sondern mehrere kleine Schreine und Ädikulen. Als weiterer heiliger Ort wird der Platz der Himmelfahrt Auriones und ihrer Apotheose zur Dioikisithea genannt. Die Ehre, das Heimatdorf der Aurione zu sein, nehmen allerdings mehrere Städte in Anspruch.
Der Kultus
Der Kult der Dioikisithea ist in ländlichen Gebieten eher unbekannt. Seine Verbreitung beschränkt sich auf Dorianthapolis und größere Metropolen. Ihre Verehrung steht ausschließlich im Zusammenhang mit Behörden und der Verwaltung.
Will man die Göttin der Bürokratie gnädig stimmen, opfert man ihr üblicherweise durchgelaufene Schuhsohlen, vollgeschriebene Schriftrollen, zerbrochene Federkiele oder auch Pfeile als Martyriumswerkzeug der Göttin.
Als besonders günstige Tage für Opferungen gelten der Rechtstag der 3. None im Raia, der ‚Tag des Martyriums der Aurione‘ und der Schaffenstag der ersten None des Brajan, der Tag bis zu dem
Anträge für das laufende Jahr bzw. die Steuern des letzten Jahres fällig sind.
Die Tempel
Tempel für Dioikisithea gibt es nicht. Die Verehrung findet vor allem an kleineren Schreinen und Ädikulen in oder vor Verwaltungsgebäuden statt. Diese sind meist relativ schlicht und zweckmäßig.
In ihrer Architektur entsprechen sie den üblichen Bauweisen der Gegend. An manchen findet man auch kleine mobile Garküchen, die von Priestern der Dioikisithea betrieben werden und Gläubige, die auf einen Termin in der Adminitration warten, mit Essen versorgen.
Priester der Dioikisithea
Die meisten Diener der Dioikisithea sind vor allem Prediger ohne karmale Kräfte. Sie sehen es als ihre Aufgabe, die Standhaftigkeit und Geduld derjenigen, die für einen Termin bei der Verwaltung Schlange stehen, zu unterstützen. Dies geschieht durch die Versorgung der Gläubigen mit Essen, musikalischen Darbietungen, tröstenden Worten oder auch schon einmal lindernden Salben für wunde Füße.
Doch ab und an verteilen sie auch Tadel, nämlich dann, wenn die Wartenden deutliche Gesten der Ungeduld zeigen, wie Wippen mit den Füßen, Trommeln mit den Fingern oder lautes Seufzen. Diese Gesten sind der Ewig Wartenden nicht genehm. Als höchste Tugenden gelten für die Priester der Dioikisithea Geduld, Disziplin, innere Ruhe, Hilfs- und Opferbereitschaft.
Gläubige der Dioikisithea
Dioikisithea ist eine Göttin zu der die Bewohner des Imperiums fast nur „bei Bedarf“ beten. Dies ist immer dann der Fall, wenn ein Behördengang oder Auseinandersetzungen mit Institutionen anstehen. Feste Verehrung findet sie nur bei den Staatsdienern, denen die Lehre von Geduld und Opferbereitschaft bei ihren Antragstellern sehr genehm ist. Manche Beamten orientieren sich auch
an dem Fleiß und der Disziplin, die der Göttin ihrerseits zugerechnet werden.
Abweichende Kultformen und Vorstellungen
Neben dem sogenannten „Weg des Aussitzens“ gibt es im Kult der Dioikisithea auch noch den „Weg der Abkürzung“. Entgegen der vorherrschenden Meinung sehen die Anhänger dieses Kultes Dioikisithea nicht als Vorbild, sondern als abschreckendes Beispiel. Ihnen geht es nur darum, ihre Ziele in den Mühlen der Bürokratie möglichst schnell zu erreichen. Dabei schrecken sie auch nicht vor Mitteln wie Erpressung, Bestechung oder Vetternwirtschaft zurück. Wer sich an einen Vertreter des „Weges der Abkürzung“ wendet, kann sicher sein, sein Ziel zu erreichen – aber die Kosten dafür sind meist hoch und nicht selten auch in Form von „Gefälligkeiten“ zurückzuzahlen.
Der Sternwurf – ein myranisches Orakel
Dieser Artikel stammt aus der Memoria Myrana 31 (2004)
von Manuel Doebel
„Ein jeder hat ein Interesse daran, zu erfahren was die Welt und das unerforschliche Schicksal für ihn bereit halten mögen. Und so haben alle Völker einen Weg gesucht insbesondere die Launen des Schicksal zu ergründen. Was manchen als Element des Zufalls erschien, haben die Weisen richtiger erkannt, als Wink der Götter und Zeichen ihrer alles durchdringenden Ordnung. Denn die Herrschaft der Oktade ist!
Nicht nur der Kosmos in seiner unerkennbaren Größe, auch jedes kleinste Insekt fügt sich den Regeln dieser Ordnung. Die Symbole der Oktade sind Repräsentanten der Aspekte, auf der diese Ordnung basiert, und das Tor zur Erkenntnis des höheren Plans. Uns Sterblichen steht es nicht an zu spekulieren, ob jene Acht ebenfalls dem Schicksal unterstehen, ob die Zeichen ihren Willen oder einen erzwungenen Weg kundtun. Sicher ist, wir Sterbliche müssen uns den Gesetzen unterwerfen. Ein Weiser, welcher die Zeichen zu deuten vermag und im Einklang mit dem Kosmos und der Macht der Oktade zu leben vermag.„— Aus dem ‚Buch der Kosmologie‘, Autor unbekannt
allen Zeiten wurden Orakelsysteme entwickelt, entdeckt und tradiert. Das im Imperium wohl bekannteste ist der ‚Sternwurf‘. Mittlerweile ist es seltener geworden, dem ursprünglich mystische
Charakter dieser drei Würfel zu vertrauen und der Glaube an die Unfehlbarkeit dieses Orakels wird selten öffentlich gezeigt. In manchen Tempeln des Nereton werden sie jedoch immer noch für wichtige Entscheidungen herangezogen und auch die Mystiker des Brajan versuchen durch sie den richtigen Weg zu erkennen.
Das Laienorakel
ist eine eher profane: als spielerisches Element auf Feiern junger Optimaten. Dabei kommt jedoch nur der so genannte ‘Kleine Wurf’ zur Anwendung. Die drei Würfel, ‘Nacht’ (schwarz), ‘Tag’ (weiß) und ‘Morgen’ (beige) genannt, werden, meist von einem Paar gemeinsam geworfen. Dabei legen der Mann seine linke und die Frau ihre rechte Hand aneinander, so dass sie die drei Würfel
damit aufnehmen können. Idealerweise erfolgt der Wurf auf ein Tuch, dass mit dem Oktogramm verziert ist. Die Interpretation erfolgt dann in großer Runde. Die ‘Nacht’ steht für die Vergangenheit der beiden, der ‘Tag’ für die gegenwärtige Lage und der ‘Morgen’ für das, was kommen wird. Die Ernsthaftigkeit dieser Würfe kann sehr unterschiedlich sein. In den meisten Fällen ist es ein Spaß und natürlich sorgt ein zukünftiges Raia-Symbol bei ledigen Paaren für wilde Spekulationen und zweideutige Witzeleien. Vor Hochzeiten kann es aber auch eine ungewollte Ernsthaftigkeit mit sich bringen, den ‘Kleinen Wurf’ zu praktizieren.
Allgemein werden derartige ‘Weissagungen’ aber als das angesehen, was sie sind: ein Spaß für alle Anwesenden. In bürgerlichen Kreisen werden die Ergebnisse des ‘Kleinen Wurfes’ oft sehr viel ernster genommen. So hört man, dass religiöse Händler, insbesondere vor großen Geschäftsabschlüssen, die Würfel befragen, um sich auf eine Verhandlung vorzubereiten. Dabei wird die ‘Nacht’ als störender Einfluss gelesen, der ‘Tag’ als Zeichen dafür, wie die Verhandlungen laufen und der ‘Morgen’ als Folgen oder Ergebnis.
Diese Laienorakelsind jedoch nur ein Rudiment dessen, wofür die Würfel ursprünglich benutzt wurden.
Der Artikel wurde in die Spielhilfe Myranische Geheimnisse aufgenommen, weshalb wir hier nur eine gekürzte Version zeigen.
Gewürz und Tod und Salat in Sidor Valantis
Dieser Artikel stammt aus der Memoria Myrana 31 (2004)
von Corinna Kersten, Bilder von Thomas Gellert (Talamon Grat) und Thilo Gellert (Teutonicus)
Kopfschüttelnd wandte sich der alte Majordomus Kassandros an seinen Herrn, den Optimaten Naivus tan Illacrion: „Wollt Ihr Euch das wirklich antun? Es ist doch weit unter der Würde eines Optimaten, mit diesem Pack zu speisen.“
„Es gibt nichts, was der Würde eines Illacrion abträglich sein könnte“, erwiderte der Optimat von oben herab. „Und wenn ich diesen zu groß geratenen Eidechsen eine solche Ehre erweise, werden sie mir aus der Hand fressen. Ich muss diesen Künstler Kolorathush einfach haben! Kein anderer könnte meinen Inselpalast so mondän, so einzigartig, so farbensprühend inspirierend gestalten!“
„Was ist denn so schwierig daran, einen Shingwa zu engagieren? Ich dachte, für ein paar bunte Glasperlen tun die alles?“
„Das Problem ist nicht die Bezahlung.“
„Was dann?“
„Mein Inselpalast liegt – wie du ja weißt – auf einer Insel. Und dieser Shingwa-Künstler Kolorathush fürchtet sich vor der Überfahrt, er hat Angst vor dem Wasser. Es ist wahrlich kaum zu glauben – eine Echse, die wasserscheu ist.“
Endlich fertig. Kshanthippe warf einen letzten prüfenden Blick auf ihr Werk. Ihr Schwager Kolorathush und auch die anderen Angehörigen der Sippe würden damit sicher zufrieden sein. Das mit Speisen überladene Buffet ließ keine Wünsche offen. Es bog sich unter der Last von Fleisch- und Fischgerichten, Mehlspeisen und Backwaren, Obst und Gemüse, Kuchen und Süßspeisen. Da Kshanthippe nicht wusste, was der Ehrengast – ein Chemec, der obendrein ein Optimat war – bevorzugte, hatte sie vorsichtshalber für alles gesorgt. Natürlich hatte sie auch an Knabbereien wie Nüsse und Insekten gedacht. Vor allem die Jubelkäfer hatte sie den ganzen Tag lang sorgsam bewachen müssen; die jungen Shingwa hatten mit allerlei Schlichen versucht, diese Leckerbissen zu ergattern. Ihr größter Stolz aber war das Schälchen mit Luftnessel. Sie hatte extra für den Gast eine kleine Menge dieses teuren Gewürzes gekauft. Die naschhaften jungen Shingwa davon fernzuhalten, war nicht schwer gewesen – das Zeug schmeckte grauenhaft; Kshanthippe fragte sich ernsthaft, warum die Optimaten es bei jeder Gelegenheit verzehrten. Da aber die Geschmäcker der verschiedenen Rassen offenbar unterschiedlich waren, hatte sie die Gerichte nur sparsam gewürzt und diverse Würzsoßen und Würzpulver auf das Buffet gestellt. Dies galt vor allem für das Glücksgewürz. So wie die Optimaten nicht ohne Luftnessel auszukommen schienen, gehörte Glücksgewürz zu jeder Mahlzeit der Shingwa. Doch Kshanthippes Nachbarin Tratshe hatte ihr einmal von einem Amaun erzählt, der das Gewürz angeblich nicht vertragen hatte. Es hieß, er habe röchelnd nach Luft geschnappt, sich den Bauch gehalten und sei tot umgefallen. Kshanthippe hielt diese Schilderung allerdings für gewaltig übertrieben, denn angeblich war der Amaun auch blau angelaufen – aber wie wollte man das denn sehen bei dem vielen Fell? Wahrscheinlich hatte die Katze bloß zu eifrig zugelangt und ihr war schlecht geworden. Aber bei ihrem Ehrengast wollte Kshanthippe kein Risiko eingehen. Deshalb hatte sie alle Speisen ohne Glücksgewürz zubereitet und sie würde den Optimaten höchstpersönlich bedienen.
Die Einladung war ein voller Erfolg – jedenfalls aus der Sicht der Gastgeber. Kshanthippe sonnte sich in dem Bewusstsein, dass vor ihr noch nie ein Shingwa in Sidor Valantis einen solch hohen Gast beköstigt hatte. Den meisten anderen Shingwa war die Anwesenheit des Optimaten an und für sich gleichgültig. Doch der Chemec war der Grund dafür, dass es ein so reichhaltiges und gutes Essen gab, deshalb war er ihnen willkommen. Ihretwegen hätte es sich allerdings genauso gut um einen Mholuren handeln können. Sie überließen Kshanthippe die Bewirtung des Optimaten und schlugen sich die Bäuche voll. Die Kinder hingegen waren von dem Gast begeistert. Dieser hässliche und auf den ersten Blick so hochmütig wirkende Chemec mit der eigenartigen Maske hatte doch tatsächlich ihnen zuliebe auf die Jubelkäfer verzichtet! Und er hatte dabei sogar noch so getan, als würde ihm der Verzicht auf diese unvergleichlichen Leckerbissen gar nichts ausmachen.
Dies fand auch Nishnushs Anerkennung. Eigentlich war er von der Einladung zum Abendessen nicht übermäßig begeistert gewesen, aber eine Absage wäre äußerst unhöflich gewesen. Er mochte Kshanthippe, die Frau seines Neffen, nicht. Ihr Putzfimmel und vor allem ihr Gekeife gingen ihm auf die Nerven. Er mochte auch die Chemec nicht besonders und die hochnäsigen Optimaten schon gar nicht, auch wenn er ihnen zugute hielt, dass sie wenigstens einen Teil ihres hässlichen Äußeren unter einer Maske verbargen.
Aber dieser hier hatte wirklich gute Manieren. Das musste man doch honorieren. Wenn er schon auf die Jubelkäfer verzichtete, dann sollte er wenigstens eine andere typisch shingwanische Speise bekommen. Hilfsbereit machte Nishnush Kshanthippe darauf aufmerksam, dass sie dem Gast noch keinen bunten Salat angeboten hatte. Erbost zischte sie ihm zu: „Kannscht du ausch nosch etwasch anderesch alsch motschen?“, eilte dann aber doch zum Buffet und häufte eine Portion bunten Salat auf einen Teller. In diesem Moment brach unter den Jungechsen eine Schlägerei um den letzen
Jubelkäfer aus. Kshanthippe ließ den Salatteller stehen und schnappte sich ihren Besen, um damit die Prügelei zu beenden.
Beleidigt begab sich Nishnush zum Buffet. Was fand sein Neffe bloß an Kshanthippe? Nie würdigte sie seine Hilfe, nichts konnte man ihr recht machen. Und wie fade dieser Salatteller für den
Ehrengast aussah! Kochen konnte sie ja, aber dekorieren nicht. Er würde ihr zeigen, wie man so etwas machte! Nishnush bestreute den Salat großzügig mit Glücksgewürz und umgab ihn mit einem Kranz appetitlich aussehender, farbenprächtiger Fruchtstücke. Als Krönung wäre ein Jubelkäfer ideal gewesen, aber es war ja keiner mehr da. Nun, es würde dem Gast sicher auch so gefallen.
Naivus tan Illacrion stieß einen tiefen Seufzer aus. Das Abendessen schien eine Ewigkeit zu dauern. Kassandros hatte recht gehabt, dieses Echsenpack war wirklich unerträglich. Ihr Anblick war ja schon abstoßend genug, dazu kam ihre kaum verständliche Nuschelei, wenn sie etwas sagten. Aber das Schlimmste waren ihre nicht vorhandenen Tischmanieren. In einer Menagerie hätte er es
possierlich gefunden, wie die Echsen nach dem Essen grapschten, wie sie schlangen und schmatzten und wie es von ihren Schnauzen tropfte, wenn sie ungeniert mit ihren langen Zungen quer über
den Tisch nach Leckerbissen schnappten, aber doch nicht an seiner Tafel! Zudem schienen sie weder kochen zu können noch den Unterschied zwischen Delikatessen und Ungeziefer zu kennen. Gemüsemaden, Basam-Maden, Malrhira-Maden – das waren Delikatessen. Die Maden der gemeinen Abortfliege hingegen nicht. Auch die kandierten Schnecken und die gezuckerten Würmer waren nicht nach seinem Geschmack gewesen. Jeder halbwegs zivilisierte Bewohner des Imperiums wusste doch, dass man diese Weichtiere in scharfen Gewürzen wälzen und dann kurz anbraten musste!
Wenigstens hatte dieses aufdringliche Shingwa-Weibchen, das ihm pausenlos irgendwelche abartig zubereiteten Speisen vorsetzte, die er probieren sollte, nicht protestiert, als er die Schüssel mit den Käfern an die Kinder weitergereicht hatte. Damit war er die widerlichen Krabbeltiere gut losgeworden, die kleinen Echsen waren begeistert darüber hergefallen.
Trotz all dieser Qualen war er seinem Ziel noch kein Stück näher gekommen. Kolorathush hatte ausweichend genuschelt, über geschäftliche Dinge könne man doch nach dem Essen reden, und dann begonnen, sich durch das Buffet zu fressen. Bisher hatte er erst etwas mehr als die Hälfte geschafft, das konnte noch dauern. Jetzt prügelten sich auch noch die Kinder! Und die Alte ging mit einem Besen dazwischen. Pack, wirklich Pack, anders konnte man das nicht nennen.
„Ihr müscht dieschen Schalat koschten, dasch ischt eine schingwanische Schpeschialität.“ Ein hässliches Shingwa-Männchen stand vor ihm und ließ sich nicht abweisen. Abermals seufzend griff der Optimat zum Besteck. Nun, es hätte schlimmer kommen können. Wenigstens waren es keine Käfer. Kolorathush hatte sein Mahl beendet und war nun satt und zufrieden. Auf Kshanthippes Kochkunst konnte man sich wirklich verlassen. Jetzt war er bereit, sich auch weniger angenehmen Dingen zu widmen, wie zum Beispiel der Aussicht, sich in einem schwankenden, zerbrechlichen, viel zu kleinen Boot über gefährliches, von grässlichen Seeungeheuern verseuchtes, ekelhaft nasses Wasser zu einer Insel zu begeben. Aber den Inselpalast würde er in der Tat gern gestalten und über seinen Lohn würde sich die ganze Sippe freuen. Kolorathush ging zu seinem möglichen Auftraggeber:
„Scho, dasch war köschtlisch. Fallsch Ihr möschtet, schpreschen wir jetscht über dasch Geschäftlische.“
Der Optimat drehte den Kopf in seine Richtung, schien ihn aber nicht wahrzunehmen. Der Teil seines Gesichts, der unter der Maske zu erkennen war, hatte die Farbe gewechselt: von Rosa zu Bläulich. Nicht schlecht für einen Chemec – aber natürlich kein Vergleich mit den Farbwechselfähigkeiten der Shingwa. Jetzt fing er auch noch an, krampfartig zu zittern. Dann schnappte er
keuchend nach Luft, griff sich an die Brust und stürzte kopfüber auf die festlich gedeckte Tafel.
Kolorathush sprach ihn an: „Wasch ischt mit Eusch, Ekschellensch? Scheid Ihr nischt gansch geschund?“ Doch der Optimat antwortete nicht. Er bewegte sich auch nicht. Offensichtlich war er tot.
Wie schade. Kolorathush hätte den Inselpalast wirklich gern gestaltet, aber dazu würde es jetzt wohl nicht mehr kommen. Kshanthippe, die sämtliche Jungechsen – sowohl die Raufbolde als auch die anderen – kurzerhand mit ihrem Besen zur Tür hinaus gejagt und ihnen empfohlen hatte, draußen in Ruhe über ihr Benehmen nachzudenken, trat an den Tisch. Mit einem entsetzten Blick erfasste sie die Situation. Ihr Ehrengast war bei ihrem Abendessen gestorben! Das hätte nicht passieren dürfen. Nun, es war nicht mehr zu ändern. Und natürlich hatte Nishnush, dieser alte Narr, wieder einmal alles vermasselt.
Es dauerte eine Weile, bis auch die anderen Shingwa begriffen hatten, was passiert war. Einige gesellten sich zu Kolorathush und Kshanthippe, andere aßen ungerührt weiter. Ratlos schaute Kolorathush auf den Toten:
„Und wasch jetscht?“
„Na, wasch wohl?“, entgegnete Kshanthippe.
„Nishnush, du hascht diesche Mischere verurschacht, deschalb wirfscht du die Leische in die Kanalischatschion. Du scholltescht Tunishgush, Stehlesh und Lashdash schum Schmiereschtehen und schur Unterschtütschung mitnehmen. Wir anderen werden inschwischen hier aufräumen und putschen.“
Nishnush widersprach nicht, doch er würde sich hüten, die Leiche einfach nur in die Kanalisation zu werfen. Schließlich war kaum anzunehmen, dass niemand gesehen hatte, wie der Optimat das
Shingwa-Viertel betreten hatte, und noch unwahrscheinlicher war, dass er niemandem von der Einladung erzählt hatte. Vermutlich hatte der Optimat vor allen seinen Freunden mit dieser
Einladung geprahlt – er, Nishnush, hätte das im umgekehrten Fall jedenfalls ganz sicher getan. Wenn der Chemec jetzt spurlos verschwand, wo würde man ihn suchen? Wen würde man verdächtigen?
Eben. Er brauchte dringend eine bessere Lösung.
Während er angestrengt nachdachte, richtete Nishnush den vornüber gefallenen Optimaten wieder auf. Beim Sturz war ihm die Maske vom Gesicht gerutscht. Interessiert betrachtete Nishnush das Antlitz des toten Chemec. Er war wirklich ausgesprochen hässlich – umso mehr musste man ihm anrechnen, dass er seiner Umwelt das Ertragen dieses Anblicks erspart hatte. Nishnush schob die auffällige Maske unter seine Weste, er würde sie dem Toten später wieder aufsetzen.
Kassandros hatte die ganze Nacht lang auf seinen Herrn gewartet 2 jedenfalls hatte er es versucht. Irgendwann musste er dann aber doch eingeschlafen sein, denn nun weckte ihn das aufgeregte
Geschrei des Pförtners:
„Kassandros, wacht auf! Etwas Schreckliches ist passiert!“
Er hatte es ja geahnt. Niemals hätte sich sein Herr dazu herablassen dürfen, dieses Pack zu besuchen.
Vor dem Tor stand ein Offizier der Brajan-Garde, hinter ihm vier Gardisten mit einer Trage. Darauf lag ein Mensch, der anhand seiner Triopta und seiner Kleidung leicht zu identifizieren war:
Naivus tan Illacrion. Kassandros stürzte zu ihm hin. Auch sein ungeübtes Auge konnte unschwer erkennen, dass man seinem Herrn den Schädel eingeschlagen hatte. Sein Gesicht war blau verfärbt,
das mussten wohl Totenflecken sein. Vielleicht war die Verfärbung aber auch darauf zurückzuführen, dass sein Herr im Wasser – oder in schlimmeren Flüssigkeiten – gelegen hatte.
Seine Kleidung war nass und er roch, als hätte man mit ihm eine Kloake aufgewischt. Halb betäubt ließ Kassandros zu, dass der Offizier und der Pförtner ihm ins Haus halfen und ihn zu einem Stuhl führten. Den Bericht des Offiziers, der ihm zu erklären versuchte, was geschehen war, vernahm er wie durch dichten Nebel.
Naivus tan Illacrion war unweit des Tedion-Tempels in einem Eingang in die Kanalisation tot aufgefunden worden. Offenbar hatten ihm zwei Raubmörder den Schädel eingeschlagen; sie waren von zwei Wächtern des Tedion-Tempels dabei erwischt worden, wie sie gerade die Taschen des Toten leerten. Die Mordwaffe, ein blutiger Holzknüppel, lag nur wenige Gradu entfernt. Ein glücklicher
Zufall hatte die Tempelwächter im entscheidenden Moment an den Tatort geführt. Ein frecher Shingwa hatte ihnen einen an die Tempelwand gelehnten Speer entwendet und war damit davongerannt,
die Wächter hinterher. Als der Shingwa die Leiche und die Banditen sah, ließ er vor Schreck den Speer fallen und lief ohne seine Beute weiter. Da die Wächter einen Raubmord für wichtiger hielten als einen missglückten Diebstahl, ließen sie ihn laufen.
Kassandros fand die Sprache wieder:
„Also wurden die Mörder meines Herrn gefasst und werden bestraft werden?“
„Selbstverständlich“, erwiderte der Offizier. „Auch wenn sie die Frechheit besitzen, die Tat zu leugnen. Sie behaupten, Euer Herr sei schon tot gewesen und sie hätten lediglich seine Wertsachen an sich genommen. Außerdem sagen sie, sie hätten die Leiche nur deshalb gefunden, weil drei Shingwa ihnen einen Geldbeutel gestohlen hätten und, sich den gestohlenen Beutel gegenseitig zuwerfend, geradezu aufreizend langsam vor ihnen hergelaufen seien – fast so, als ob sie verfolgt werden wollten. Am Tatort hätten die drei Shingwa-Diebe den Beutel dann fallen gelassen und seien davongerannt. Und da die Kleidung und die Triopta des Toten auf reiche Beute schließen ließen, hätten sie die günstige Gelegenheit nutzen wollen.“
Abschließend meinte der Offizier: „Ich muss schon sagen, das ist die mit Abstand dümmste Ausrede, die ich jemals gehört habe.“
Zutaten für den bunten Salat
Mengen der einzelnen Zutaten nach Wahl, zum Beispiel:
½ Kopf valantischer Feldsalat (Eisbergsalat)
1/3 cantaresische Schlangenfrucht (Salatgurke)
4 meralische Strauchfrüchte (Tomaten)
2 gelbe Minjamon-Pilze (Paprika)
2 rote Kerhi (Zwiebeln)
1 Handvoll schwarze Ölbaumfrüchte (Oliven)
½ Handvoll Piperalesschoten (Peperoni)
250 g Laugenkäse aus Mayenios (Feta/Schafskäse)
Zutaten für die Salatsoße
3 EL Olivenöl
½ EL Azidial (Essig)
2 EL Wasser
Jimaucha (Salz )
Piperales (Pfeffer)
Kräuter nach Belieben
Nur für Shingwa: Glücksgewürz
~ erhältlich bei jedem myranischen Gewürzhändler
~ bisher nicht exportiert
~ scheint für andere Rassen als Shingwa aus bisher unbekannten Gründen gesundheitsschädlich zu sein
~ Irdische Entsprechung: Eine Mischung aus Engelstrompete, Goldregen, Stechapfel, rotem Fingerhut, Tollkirsche, Bilsenkraut, geflecktem Schierling und Brechnuss