Dioikisithea – Göttin der Bürokratie

  Memoria Myrana 31 (2011)

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Dieser Artikel stammt aus der Memoria Myrana 31 (2004)

von Kirsten Schwabe & Jan Stawarz

 
Bürokratia, die Ewig Wartende, Herrin der Akten, die Geduldige

Vom Wesen der Gottheit

So lasst mich erzählen, die Legende der Dioikisithea! Vor ewigen Zeiten wurde die Sterbliche Aurione als junge Rechtsgelehrte Zeuge einer anrückenden Ban Bargui-Armee auf ihr Heimatdorf. Sogleich machte sie sich auf den Weg zur örtlichen Verwaltung, um vor der drohenden Gefahr zu warnen. Doch statt sich gleich zur Spitze der Schlange vorzudrängeln, wartete Aurione geduldig, bis sie an der Reihe war. Diese Disziplin und das brajan-gefällige Verhalten rührten das Herz des Gebieters der Götter und er verzögerte den Angriff der wilden Horden, bis Aurione ihre Warnung aussprechen konnte und die Myrmidonen zur Verstärkung eintrafen. Bei dem folgenden Kampf traf ein verirrter Pfeil die junge Frau und tötete sie auf der Stelle. Brajan war ergriffen vom Schicksal der Frau und so erhob er sie als seine Dienerin in den Götterhimmel. Er ernannte sie zu Dioikisithea, der Schutzheiligen all derer, die ein Ersuchen bei den Behörden vortragen wollen.“ —die Legende der Dioikisithea, erzählt von einem wandernden Barden

Dioikisithea ist eine Dienerin des Brajan, die besonders in Metropolen mit vielen Verwaltungsstrukturen verehrt wird. Um ihre Vergöttlichung kreisen einige Legenden und auch ihr Aufgabenbereich ist im Laufe der Jahrhunderte gewachsen. Mittlerweile gilt sie sowohl als Göttin der Verwaltungsbeamten als auch als Göttin der Antragsteller, die geduldig auf ein Vortragen ihres Anliegens warten. Bevor man ein wichtiges Gesuch vorträgt, opfert man üblicherweise der Dioikisithea, um auf ein wohlwollendes Ohr für die Angelegenheit zu stoßen und die
Wartezeit standhaft durchzustehen.

Symbolik

dioikisithea_symbolWenn Dioikisithea auf Bildern dargestellt wird, so häufig als junge Rechtsgelehrte mit Schriftrollen in der Hand. Manchmal wird sie auch dreiäugig abgebildet, was ihre Nähe zum Götterfürsten
Brajan symbolisiert, auch wenn sich die Legenden einig sind, dass sie keine Optimatin war. Das Symbol der Dioikisithea sind drei Ameisen, die um eine Schriftrolle wandern. Die Ameisen stehen dabei für eine fleißige und effiziente Verwaltung. Spötter weisen dagegen darauf hin, dass die Ameisen im Kreis laufen, ganz so wie auch manche Verwaltung im Imperium. Dementsprechend gilt die fleißige Ameise als heiliges Tier der Dioikisithea – auf jeden Fall bei der Verehrung durch Verwaltungsbeamte. Bei denjenigen die auf die Gunst derselben warten, sind es eher Schildkröten, Schnecken, an der Küste auch Kraken und im Süden Faultiere.

Heilige Orte

Als heiliger Ort gilt der Sternenpfeiler als Inbegriff der Verwaltung eines riesigen Imperiums. Dort gibt es allerdings keinen speziellen Platz der Verehrung, sondern mehrere kleine Schreine und Ädikulen. Als weiterer heiliger Ort wird der Platz der Himmelfahrt Auriones und ihrer Apotheose zur Dioikisithea genannt. Die Ehre, das Heimatdorf der Aurione zu sein, nehmen allerdings mehrere Städte in Anspruch.

Der Kultus

Der Kult der Dioikisithea ist in ländlichen Gebieten eher unbekannt. Seine Verbreitung beschränkt sich auf Dorianthapolis und größere Metropolen. Ihre Verehrung steht ausschließlich im Zusammenhang mit Behörden und der Verwaltung.

Will man die Göttin der Bürokratie gnädig stimmen, opfert man ihr üblicherweise durchgelaufene Schuhsohlen, vollgeschriebene Schriftrollen, zerbrochene Federkiele oder auch Pfeile als Martyriumswerkzeug der Göttin.

Als besonders günstige Tage für Opferungen gelten der Rechtstag der 3. None im Raia, der ‚Tag des Martyriums der Aurione‘ und der Schaffenstag der ersten None des Brajan, der Tag bis zu dem
Anträge für das laufende Jahr bzw. die Steuern des letzten Jahres fällig sind.

Die Tempel

Tempel für Dioikisithea gibt es nicht. Die Verehrung findet vor allem an kleineren Schreinen und Ädikulen in oder vor Verwaltungsgebäuden statt. Diese sind meist relativ schlicht und zweckmäßig.

In ihrer Architektur entsprechen sie den üblichen Bauweisen der Gegend. An manchen findet man auch kleine mobile Garküchen, die von Priestern der Dioikisithea betrieben werden und Gläubige, die auf einen Termin in der Adminitration warten, mit Essen versorgen.

Priester der Dioikisithea

amtsstubeDie meisten Diener der Dioikisithea sind vor allem Prediger ohne karmale Kräfte. Sie sehen es als ihre Aufgabe, die Standhaftigkeit und Geduld derjenigen, die für einen Termin bei der Verwaltung Schlange stehen, zu unterstützen. Dies geschieht durch die Versorgung der Gläubigen mit Essen, musikalischen Darbietungen, tröstenden Worten oder auch schon einmal lindernden Salben für wunde Füße.

Doch ab und an verteilen sie auch Tadel, nämlich dann, wenn die Wartenden deutliche Gesten der Ungeduld zeigen, wie Wippen mit den Füßen, Trommeln mit den Fingern oder lautes Seufzen. Diese Gesten sind der Ewig Wartenden nicht genehm. Als höchste Tugenden gelten für die Priester der Dioikisithea Geduld, Disziplin, innere Ruhe, Hilfs- und Opferbereitschaft.

Gläubige der Dioikisithea

Dioikisithea ist eine Göttin zu der die Bewohner des Imperiums fast nur „bei Bedarf“ beten. Dies ist immer dann der Fall, wenn ein Behördengang oder Auseinandersetzungen mit Institutionen anstehen. Feste Verehrung findet sie nur bei den Staatsdienern, denen die Lehre von Geduld und Opferbereitschaft bei ihren Antragstellern sehr genehm ist. Manche Beamten orientieren sich auch
an dem Fleiß und der Disziplin, die der Göttin ihrerseits zugerechnet werden.

Abweichende Kultformen und Vorstellungen

Neben dem sogenannten „Weg des Aussitzens“ gibt es im Kult der Dioikisithea auch noch den „Weg der Abkürzung“. Entgegen der vorherrschenden Meinung sehen die Anhänger dieses Kultes Dioikisithea nicht als Vorbild, sondern als abschreckendes Beispiel. Ihnen geht es nur darum, ihre Ziele in den Mühlen der Bürokratie möglichst schnell zu erreichen. Dabei schrecken sie auch nicht vor Mitteln wie Erpressung, Bestechung oder Vetternwirtschaft zurück. Wer sich an einen Vertreter des „Weges der Abkürzung“ wendet, kann sicher sein, sein Ziel zu erreichen – aber die Kosten dafür sind meist hoch und nicht selten auch in Form von „Gefälligkeiten“ zurückzuzahlen.

Dioikisithea | (Oktade, v. a. Brajan) | Pflicht, Korrektheit, Geduld, Hierarchie, Disziplin, Fleiß, Gesetz/Recht, Hilfsbereitschaft, Hingabe, innere Ruhe, Ordnung, Rätsel, Sprache, Standhaftigkeit, Vernunft | KO, KL, IN, MU; Selbstbeherrschung, Körperbeherrschung, Lesen/Schreiben, Schriftlicher Ausdruck, HK Seele, Kochen, Musizieren/Singen, Überzeugen, Rechtskunde, Etikette, Menschenkenntnis, Brettspiel, Götter/Kulte, Heraldik

Der Sternwurf – ein myranisches Orakel

  Memoria Myrana 31 (2011)

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Dieser Artikel stammt aus der Memoria Myrana 31 (2004)

von Manuel Doebel

Ein jeder hat ein Interesse daran, zu erfahren was die Welt und das unerforschliche Schicksal für ihn bereit halten mögen. Und so haben alle Völker einen Weg gesucht insbesondere die Launen des Schicksal zu ergründen. Was manchen als Element des Zufalls erschien, haben die Weisen richtiger erkannt, als Wink der Götter und Zeichen ihrer alles durchdringenden Ordnung. Denn die Herrschaft der Oktade ist!
Nicht nur der Kosmos in seiner unerkennbaren Größe, auch jedes kleinste Insekt fügt sich den Regeln dieser Ordnung. Die Symbole der Oktade sind Repräsentanten der Aspekte, auf der diese Ordnung basiert, und das Tor zur Erkenntnis des höheren Plans. Uns Sterblichen steht es nicht an zu spekulieren, ob jene Acht ebenfalls dem Schicksal unterstehen, ob die Zeichen ihren Willen oder einen erzwungenen Weg kundtun. Sicher ist, wir Sterbliche müssen uns den Gesetzen unterwerfen. Ein Weiser, welcher die Zeichen zu deuten vermag und im Einklang mit dem Kosmos und der Macht der Oktade zu leben vermag.
„— Aus dem ‚Buch der Kosmologie‘, Autor unbekannt

allen Zeiten wurden Orakelsysteme entwickelt, entdeckt und tradiert. Das im Imperium wohl bekannteste ist der ‚Sternwurf‘. Mittlerweile ist es seltener geworden, dem ursprünglich mystische
Charakter dieser drei Würfel zu vertrauen und der Glaube an die Unfehlbarkeit dieses Orakels wird selten öffentlich gezeigt. In manchen Tempeln des Nereton werden sie jedoch immer noch für wichtige Entscheidungen herangezogen und auch die Mystiker des Brajan versuchen durch sie den richtigen Weg zu erkennen.

Das Laienorakel

ist eine eher profane: als spielerisches Element auf Feiern junger Optimaten. Dabei kommt jedoch nur der so genannte ‘Kleine Wurf’ zur Anwendung. Die drei Würfel, ‘Nacht’ (schwarz), ‘Tag’ (weiß) und ‘Morgen’ (beige) genannt, werden, meist von einem Paar gemeinsam geworfen. Dabei legen der Mann seine linke und die Frau ihre rechte Hand aneinander, so dass sie die drei Würfel
damit aufnehmen können. Idealerweise erfolgt der Wurf auf ein Tuch, dass mit dem Oktogramm verziert ist. Die Interpretation erfolgt dann in großer Runde. Die ‘Nacht’ steht für die Vergangenheit der beiden, der ‘Tag’ für die gegenwärtige Lage und der ‘Morgen’ für das, was kommen wird. Die Ernsthaftigkeit dieser Würfe kann sehr unterschiedlich sein. In den meisten Fällen ist es ein Spaß und natürlich sorgt ein zukünftiges Raia-Symbol bei ledigen Paaren für wilde Spekulationen und zweideutige Witzeleien. Vor Hochzeiten kann es aber auch eine ungewollte Ernsthaftigkeit mit sich bringen, den ‘Kleinen Wurf’ zu praktizieren.

Allgemein werden derartige ‘Weissagungen’ aber als das angesehen, was sie sind: ein Spaß für alle Anwesenden. In bürgerlichen Kreisen werden die Ergebnisse des ‘Kleinen Wurfes’ oft sehr viel ernster genommen. So hört man, dass religiöse Händler, insbesondere vor großen Geschäftsabschlüssen, die Würfel befragen, um sich auf eine Verhandlung vorzubereiten. Dabei wird die ‘Nacht’ als störender Einfluss gelesen, der ‘Tag’ als Zeichen dafür, wie die Verhandlungen laufen und der ‘Morgen’ als Folgen oder Ergebnis.

Diese Laienorakelsind jedoch nur ein Rudiment dessen, wofür die Würfel ursprünglich benutzt wurden.

Der Artikel wurde in die Spielhilfe Myranische Geheimnisse aufgenommen, weshalb wir hier nur eine gekürzte Version zeigen.